An diesen unerträglich grauen(vollen) Tagen fliegt mein Geist in Gefilde mit blauem Himmel und voller Kunst und Kultur. (Der kann das, er muss keinen Flug buchen!). Heute landet er in Toledo, wir zählen den Monat März im Jahr 1 vor der Pandemie.
Vom Mirador jenseits der Tajo-Schlucht fällt der Blick auf ein Panorama aus Kirchtürmen und Palästen. Was sich hier auf ein oder zwei Quadratkilometer an Klöstern, Kirchen und Museen über einem Bogen des Tajo drängt, gibt es in Europa kein zweites Mal (sagt mir wenigstens mein Geist). Die meisten Touristen kommen als Tagesbesucher von Madrid aus nach Toledo. Aber es lohnt sich nicht nur länger zu bleiben, es ist geradezu zwingend.



Wer sich mit dem Auto in die Gassen wagt (die meisten sind für Verkehr unzugänglich), muss die Außenspiegel einziehen und Fußgänger in Hauseingänge vertreiben. Sich per Stadtplan oder GPS zurecht zu finden, ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Sich einfach zu Fuß im Gewirr einer geradezu orientalisch wirkenden Stadt zu verirren, ist der größte Reiz.





Überall tauchen eine Kirche oder ein Kloster auf, oder einer ehemalige Synagoge, wie jene, die jetzt Santa Maria la Blanca heißt. Ich erinnere mich daran, dass wir dort eine Schülergruppe aus Russland trafen – heute wie aus einer anderen Epoche. Die jüdische Geschichte Toledos ist eng mit der maurischen verbunden, und so wirkt das Innere der Synagoge auch wie der Gebetsraum einer Moschee.



Manche Gassen und Fassaden Toledos könnten auch in Damaskus oder Marrakesch sein.



Über die ganze Stadt verstreut sind die Spuren eines prominenten Bürgers im späten 16. Jahrhundert: El Greco: „Der Grieche“, wie seine Zeitgenossen den aus Kreta stammenden Domínikos Theotokópoulos nannten, ist einer der herausragendsten Maler seiner Zeit – und wurde doch verkannt. Verstreut in Klöstern und Kirchen seiner Wahlheimat findet man Altäre und Malereien von El Greco. Seine Bilder hängen auch im Prado in Madrid oder im El Escorial, dem Palast Philipps II. im Norden der spanischen Hauptstadt.




Seine einstige Residenz in einem kleinen Palazzo ist heute das El Greco-Museum. Das Bild, welches er einst von seiner Heimatstadt malte, zeigt die Silhouette Toledos wie sie heute noch aussieht.



El Greco hat fast alles an religiösen Motiven gemalt, was Bibel und Heiligenlegenden hergeben. Das passte in die Zeit, als Spanien – zusammen mit Portugal – Weltmacht mit missionarischem Eifer war.
Aber Farben und Stil des Malers fallen aus der Zeit. „Das Werk von El Greco ist durch seine expressiven und intensiven Farben sowie seine ungewöhnlichen Perspektiven und Proportionen ausgezeichnet. Er nutzte oft leuchtende Farben und kräftige Kontraste, um eine spirituelle Atmosphäre zu schaffen. Seine Bilder sind oft düster und geheimnisvoll, und er verwendete häufig ungewöhnliche Perspektiven, um die Aufmerksamkeit des Betrachters auf bestimmte Elemente des Bildes zu lenken“ (das schreibt ChatGPT auf meine Frage „Was zeichnet das Werk von El Greco aus?“).
Erst im 19. Jahrhundert hat man El Greco neu gewürdigt, er scheint den Expressionismus vorweg genommen zu haben, vier Jahrunderte früher. So war Toledo Heimat eines Querdenkers seiner Zeit. Das passt zu einer Stadt, in der Mauren, Juden und Katholiken Geschichte geschrieben haben. An einem Tag wie heute, mit Glatteis und grauem Himmel, möchte ich viel lieber in Toledo sein.

Abends sind wir in der Stadt fast allein, es ist noch kühl im März und die Straßen daher leer. Durch sie weht zuweilen der Geist einer Epoche, als Kastillien sich als Speerspitze einer globalen Reconquista verstand. Schwerter und Stahl aus Toledo hatten einen Namen im Kampf gegen Ungläubige oder zu Bekehrende.

Aber wenn die Sonne heraus kommt, ist dieser Geist verschwunden und Toledo verwandelt sich in eine historische Kulisse, in der man sich in die Zeit zurück versetzen kann, als die Stadt eine kulturelle Brücke zwischen Orient und Okzident war. Take a bow, Toledo!

Sehr schön. Wir waren einmal kurz davor, Toledo zu besuchen, aber dann schien es uns doch zu weit. Schade.
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Schön, schön.
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