20.2.2023: Die Koffer sind da, Mission erfüllt

Wie jeden Morgen ging auch heute die Sonne hinter den Trump Towers von Pune auf (kein Scherz, es gibt sie wirklich und sie sind von unserem Hotelfenster aus zu sehen). Der fünfte Tag und keine Koffer in Sicht.
So nahmen wir uns vor, uns für die Rückreise in der großen Shopping Mall nahe dem Hotel auszustatten, inkl. eines kleinen Koffers dafür. Um 11 Uhr öffnet die Mall und wir waren die ersten Gäste. Um 14 Uhr verließen wir sie mit Einkaufstaschen bepackt.

Am späten Nachmittag besuchten wir David in seiner Wohnung, einem unverzichtbaren „Programmpunkt“ unserer Reise. Anschließend holte uns Pravleen mit ihrem Auto ab und lud uns zu einem Dinner in einem edlen südindischen Restaurant ein. Und gerade als wir zurück in die Hotellobby kamen, sahen wir sie in einer Ecke stehen: unsere Koffer. Exakt 110 Stunden nach der Landung waren sie da. Wir packten die Geschenke aus und freuten uns über die gewohnten Sachen in Bad und Kleiderschrank.

Aber wir hatten schon gestern entschieden, die Reise abzubrechen und am Mittwoch früh nach Deutschland zurück zu fliegen. Zu sehr hatten uns die Unwägbarkeiten einer kofferlosen Existenz genervt. Indien ist anstrengend genug unter normalen Umständen, aber ohne unsere persönlichen Sachen wurde das noch gesteigert.
Aber so ist unsere Mission erfüllt und wir können nach einer ereignisreichen Woche mit einem guten Gefühl die Heimreise antreten.
19. Februar 2023: Vierter Tag ohne Koffer und ein Museum

In einer Seitenstraße der überaus quirligen Altstadt von Pune liegt das Raja Dinkar Kelkar Museum. Es entstand aus einer privaten Sammlung von Gegenständen aus dem 18. und 19. Jh. aus ganz Indien und vermittelt einen Überblick über das Kunsthandwerk der Zeit. Das war Ziel unsere Ausfluges heute. Mit dem Auto, gesteuert von der Freundin unseres Sohnes machten wir uns auf.

Über drei Stockwerke verteilt finden sich Götterdarstellungen, kunstvolle Gegenstände aus den adligen Haushalten und Kuriosa, wie z.B. erotische Nussknacker.










Alles, was aus Holz, Messing, Bronze, Porzellan oder Textil herzustellen ist, gab es zu sehen. Bei zwei Marionetten kam mir der Gedanke, ob wir nicht alle an Fäden hängen, die uns kontrollieren (nein, kein Bezug zu unserem „Kofferschicksal“).



Vom Museum fuhren wir, besser gesagt wurden wir durch die Fahrkunst von Pravleen geleitet, durch die engen Gassen der Altstadt zurück in die Gegend von Koregaon Park, wo wir ein Gartenrestaurant fanden, das originelle europäische Küche anbot.
Zurück im Hotel gab es viele Koffer, aber nur von anderen Gästen, die gerade angereist waren. Unsere scheinen in Mumbai gelandet, aber das Karma hält sie wohl dort fest.
18. Februar 2023: Unter Marathen

Während das Warten auf die Koffer weitergeht – immerhin zeigen sich erste Spuren im Internet, dass sie unterwegs zu uns sind – hat David uns heute die Altstadt seiner Wahlheimat Pune gezeigt.
Die sogenannte Mitfahr-App UBER liefert bei alledem beste Dienste: Man wählt den Zielort auf dem Smartphone und ein Fahrer meldet sich und holt dich ab, wo immer du gerade stehst. Bezahlt wird automatisch über die Kreditkarte.




Unser UBER-Fahrer setzte uns am alten Fort ab, dem Sitz des stolzen Marathen-Herrschers Shivaji. An ihm bissen sich die britischen Kolonialherren im 19. Jh. die Zähne aus, und der Stolz darüber ist überall in Pune zu sehen: dreieckige Wimpel in glühendem Orange.
Das Fort ist umgeben von uralten Bäumen, unter denen die lokale Bevölkerung Schatten sucht. Es ist Wochenende und auch für die Menschen in Pune ist das die Zeit, aus engen Wohnungen und Straßen ein wenig heraus zu kommen.




Im Schatten der Bäume unterhalten sich junge Paare, Familien spazieren durch die Gemäuer und über wacklige Treppen.



Wir beenden den Ausflug in einem beliebten Studenten-Cafe in der Altstadt, welches sich nur dadurch von uns unterscheidet, dass hier die Nutzung von Laptops verboten ist – also besser ein gutes Buch mitbringen.

17. Februar 2023: Pune, Gandhi und der Krieg

Täuschend echt sitzt er da, wo er 1942 für zwei Jahre gefangen gehalten wurde: der Mahatma. Ein vom Oberhaupt der Ismailiten Ende des 19. Jhs. gebauter Palast diente den Briten als Gefängnis für den Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung, samt seinem Privatsekretär und seiner Ehefrau Kasturba Gandhi. Dieser Palast des Aga Khan liegt nahe zu unserem Hotel in der Innenstadt von Pune, ein kurzer Spaziergang entlang der Straße.

Es ist ein trocken-heißer Vormittag, unsere neuen Outfits müssen ja eingetragen werden. Unser Sohn David begleitet uns an diesem Tag – und eine Schulklasse, die mit uns den geschichtsträchtigen Ort besichtigt.



Gandhi war verhaftet worden, weil er sein Indien unter keinen Umständen in den Weltkrieg in Europa hineinziehen wollte, was ihm die Kolonialherren übelnahmen – klingt heute irgendwie bekannt. Der herrliche Palast und sein schöner Park waren von 1942 bis 1944 ein Gefängnis, Kasturba Gandhi starb in jener Zeit hier in Pune.



Wir sahen uns in den einzelnen Räumen die Schrifttafeln an und waren erstaunt, wie aktuell die damalige Position Indiens im Weltkrieg mit Deutschland heute wieder ist.

Wir beendeten unseren Spaziergang mit einem Snack in der kleinen „Canteen“ in einer Ecke des Parks: Es gab Aloo Parotha (mit Kartoffeln gefüllte Teigtasche), einen echten indischen Chai und Fresh Lime Juice.




Auf dem Weg zurück ins Hotel träumte ich für einen Moment, dass die Koffer in der Lobby auf uns warten. Aber vergeblich. So endete der Tag mit einer Runde IMLF-Drinks (Indian made foreign liquor) zusammen mit David auf der Terrasse unseres Hotels, bekanntlich stirbt die Hoffnung ja zuletzt.
16. Februar 2023: Rasende Tagesstrecke: von Mumbai nach Pune

Nach all dem Chaos und einer extrem kurzen Nacht (von ein, zwei Stunden Schlaf) passierte ein kleines Wunder: Der Fahrer für die Tour über die Schnellstraße nach Pune stand Punkt 12 Uhr – wie vereinbart – auf dem Parkplatz am Hotel. Einem schmächtigen, Capi tragenden Anfang 20-Jährigen vertrauten wir unser Leben an.
An der Frontscheibe stand eine kleine Figurengruppe aus Ganesh und vermutlich einem Helden der Region – wir sind im Bundesstaat Maharashtra – und los gings in den Verkehr der 22 Millionen Metropole. Göttlichen Schutz brauchten wir: der junge Mann fuhr wie im „Großen Preis von Indien“, mit Chuppze und Gewandheit ließen wir den Bereich des Flughafens hinter uns, Richtung Norden.
Dann ging es auf die Schnellstraße über den Thane Creek, Navi Mumbai und schon lagen die ersten Tafelberge des Dekhan-Abfalls vor uns. Nach zwei Stunden zeigte ein Schild an der Autobahn „Ghat starts“ – meint den Begin der Steigung auf in die West Ghats auf das Dekhan Plateau. Wir fuhren, zum Teil mit weit über 100 km/h, wie im Kinofilm, erreichten den Stadtverkehr von Pune und waren nach 3 1/2 Stunden im Hotel in der Innenstadt. Rekordzeit für die knapp 200 km von Mumbai Airport.
Das Hotel war ebenso überrascht wie wir in der Nacht: „No luggage?“ Wir brachten Handtasche und Rucksack aufs Zimmer, baten unseren Sohn, der nur eine Viertelstunden Fahrt vom Hotel wohnt, zu uns zu kommen. Als erste Aufgabe hatten wir uns in eine Shopping-Orgie zu stürzen: eine nahegelegene Mall musste dran glauben – uns fehlt alles, Unterwäsche, Socken, Badeschuhe, T-Shirts, Shorts. Man merkt es, wenn man nichts hat, wie wenig (oder wie viel) man braucht, um in einem vornehmen Hotel überleben zu können. Zahnputz- und Rasiermittel gibt es im Zimmer. Mit Taschen bepackt kamen wir im Abendrot zurück ins Hotel.
Was schließt man aus alldem? Von unserem Gepäck nicht einmal eine Spur!

15. Februar 2023: Reiseabenteuer der besonderen Art

Es ging schon in Hannover verdächtig los: Am leeren Lufthansa-Schalter meinte die Dame vom Bodenpersonal, in meinem Visumausdruck stehe eine 0 (=Null), es müsse aber ein großes O sein. Ich glaubte erst mich verhört zu haben, weil sie nur nach telefonischer Rücksprache mit Vorgesetzten bereit war, uns einzuchecken. „Der inkompetenteste Flughafen in Deutschland“ schimpfte kurz später ein Geschäftsmann hinter uns im Security-Check, als rein gar nichts mehr ging.
Vorweg gesagt: Wir sind in Mumbai. Draußen scheint die Sonne und wir haben eine extrem kurze Nacht in einem Hotel nahe dem Flughafen verbracht.


Damit enden aber auch schon die guten Nachrichten. Denn was uns dann mittags in München am Flugsteig nach Mumbai erwartete, hätte man filmen sollen. Es wurde bekannt gegeben, dass es bei Lufthansa einen kompletten IT-Blackout gäbe, außer mit Papierlisten gehe rein gar nichts mehr. Hörte sich nicht dramatisch an, bis dann die Pilotin vor das Publikum trat.
Sie müsse zu ihrem Bedauern bekannt geben, dass der gesamte Flug ohne das Gepäck der Passgieren abfliegen werde! Immerhin, wir könnten fliegen (in Frankfurt war Lufthansa schon dicht und es drohte auch in München die Schließung). Die überwiegend indischen Passagiere bedrängten die armen Kolleginnen am Gate, es gab Handgemenge und Schreierei. Wer wolle, können bleiben. Wann man aber dann weg kommen, wäre absolut nicht voraussagbar.
Wir berieten uns und beschlossen nach Indien ohne jegliches Gepäck zu fliegen. So richtig klar wurde uns die Konsequenzen, ohne Zahnbürste, T-Shirt oder Medikamente hier zu stehen, erst nach der Landung – eine halbe Stunde nach Mitternacht. Fast zwei Stunden standen wir in der Schlange vor dem Passschalter, immerhin: Wir konnten einreisen, auf O’s und 0-llen achtete keiner.
Dann ging das Chaos weiter: An einem Lost & found-Schalter mussten wir Formulare zur Gepäcknachverfolgung ausfüllen (dies online zu tun, war uns im Flugzeug geraten worden, aber die Software der Lufthansa funktionieret nicht). Nach einigen Unterschriften und Stempeln der Zollbehörden konnten wir endlich auf die Straße vor dem Flughafen treten.
Dort wartete ein Fahrer vom Hotel schon seit drei Stunden. Um halb vier morgens Ortszeit (11 Uhr deutscher Zeit – Unterschied gleich 4 1/2 Stunden) waren wir auf unserem Zimmer. Wann uns unser Gepäck je erreicht, steht in den Sternen.
Vielleicht hätte uns die Dame in Hannover gar nicht an Bord gehen lassen sollen….