Wer die Bevölkerungspolitik in China verfolgt hat, der reibt sich bei einem kürzlichen Bericht aus der South China Morning Post die Augen: Viele Regionen in der Volksrepublik planen Anreize, damit Eltern ein drittes Kind bekommen. War da nicht eben noch die mit drakonischen Mitteln durchgesetzte Ein-Kind-Politik?
Meine Generation ist groß geworden mit der drohenden „Bevölkerungsexplosion“ auf dem Globus (wobei geflissentlich übersehen wurde, dass wir selbst in den frühen 1960er Jahren Teil des Booms waren). Und wie oft habe ich in meinem Berufsleben Diskussionen geführt, ob Chinas de rigueur oder Indiens laissez-faire die bessere Politik ist.
Der solchen Diskussionen innenwohnende versteckte Fremdenfeindlichkeit lässt außen vor, das für den Planeten nicht die Zahl der Menschen, sondern deren Ressourcenverbrauch (heute sagt man „ökologischer Fußabdruck“) das wichtigste Kriterium ist. Und da sind wir in den entwickelten Ländern für den Planeten eine dutzendfach höhere Belastung.
Zudem ist die Entscheidung für oder gegen Kinder oder für wie viele eine höchst private. Sie wird von vielen Faktoren bestimmt, von Traditionen, vom Emanzipationslevel in der Gesellschaft, von Bildung und Gesundheitsvorsorge und vom kulturellen Wandel. Der massive Eingriff der chinesischen Regierung in diese private Entscheidung von Paaren ist bei uns selten kritisch diskutiert worden.
Unter Demographen aber ist es längst kein Geheimnis mehr, dass Chinas Bevölkerung nicht weiter wächst. Die einst rigorose Familienpolitik wurde abgelöst vom weit wirkungsmächtigeren Faktor: Wohlstand.

China folgt damit vielen anderen Ländern beim sogenannten „demographischen Übergang.“ Gesundheitsvorsorge (Menschen leben länger), Frauenrechte (Zugang zu Methoden der Familienplanung) und hedonistische Lebensmodelle, dem die finanziellen Belastungen durch Kinder entgegen stehen, haben dazu geführt, dass Paare in China bei ihrer ganz privaten „Ein Kind Politik“ geblieben sind. Damit ist statistisch ein Bevölkerungsrückgang vorprogrammiert.




Aber die Folgen der drakonischen Familienpolitik der 1960er bis 1980er Jahre in Verbindung mit Chinas Entwicklungsfortschritten haben mit 50 Jahren Verzögerung ganz andere Konsequenzen: In der Bevölkerungspyramide schiebt sich ein gewaltiger Überhang nach oben (in der Darstellung hier nur zu erahnen). Das heißt, immer weniger junge Menschen müssen immer mehr Alte versorgen. Und in China gibt es kein Rentenversicherungssystem wie bei uns, das System ist immer noch die Familie. Kein Wunder, dass zum Neujahr dieser Tage so viele junge Menschen aus den Städten im Osten ihre Daheimgebliebenen im ländlichen Raum im Landesinneren besuchen.

Wie China diesen Übergang bewältigt, wird interessant sein zu beobachten. Denn mit immer noch 1,4 Milliarden Menschen ist Sozialpolitik in China nolens volens „Weltinnenpolitik.“
*Fotos stammen von einem beruflichen Aufenthalt in Guangzhou, Sommer 2007
Weitere Informationen:
Oh oh … wo das wohl hinführt?
Mehr Kinder nur für die Familien, die mehr Sozialpunkte haben und die Alten auf dem Land „entsorgen“ …?
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