Die Straße in der Altstadt von Wetzlar war frisch gepflastert. Zwischen den hellen Steinen sah ich vor ein paar Tagen die Plakette für Rosa Best, die mit 33 Jahren deportiert und in Auschwitz ermordet wurde. Ein Stolperstein, mitten in der Fußgängerzone der Lahnstadt. In deutschen Städten gibt es hunderttausende davon. Sie erfüllen ihren Zweck, weil sie an reale Menschen erinnern, Mitbürger von damals, die in Vernichtungslagern endeten.
Vor 84 Jahren zündete ein Mob von Flensburg bis Konstanz Synagogen und Geschäfte an, ein Fanal in jeder Stadt mit jüdischem Leben – Halberstadt, Wolfenbüttel, Seesen, um nur die in unserer Region zu nennen. Keine spontanen Demos in den Tagen darauf, kein Generalstreik, maximal Schulterzucken oder verlegen wegsehen. „Reichskristallnacht“ wurde das bis in jüngste Zeit mit zynischer Ignoranz genannt. Es war das Vorspiel für das, was Menschen wie Rosa Best nur wenig später zustieß.
Kristallnacht: Unseen pictures capture horrors of 1938 Nazi pogrom. BBC News, 10.11.2022
Ich stolpere immer wieder über den 9. November. Brennende Gotteshäuser, zerschmetterte Scheiben, verschmierte Fassaden – deutlicher kann staatlich organisierter Hass nicht demonstriert werden. Ich stolpere schon deshalb, weil auch dem unpolitischsten Bürger im Land spätestens jetzt klar werden musste, welcher Geist da an der Macht war.
In „normalen“ Zeiten könnte man meinen, ach ja, ein weiterer Gedenktag. Aber in unserer Zeit besteht die Gefahr, dass ein solcher Tag plötzlich zur Gegenwart wird. Es schnürt einem die Kehle zu, aber das Undenkbare wird wieder denkbar.

KFC apologizes after German Kristallnacht promotion. BBC News, 9.11.2022
Danke Reiner, man kann nicht oft genug drüber reden. Ich habe Anfang des Jahres „Die Frauen von Birkenau“ gelesen von einer Augenzeugin … nur schwer zu ertragen, aber sollte zur Pflichtlektüre werden, bei diesem ganzen Insta-YouTube-TikTok-Gaga-Quatsch
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