Meine Arbeit, meine Knochen, mein Leben

Wenn ich morgens mein Fahrzeug vom Laternenmast abgurte, genehmige ich mir noch einen süßen Tee im Tonbecher. Ich heiße Abdul und bin ein Rikshaw Puller, mein Arbeitsplatz sind die Straßen von Kolkata. Das ist eine der großen Metropolen meines Landes, man sagt mehr als 10 Millionen Einwohner. Ich bin Muslim und Bengale.

Heute Abend sitze ich auf meinem Arbeitsgefährt mitten im brodelnden Verkehr meiner Stadt, das Tagwerk ist vollbracht. Bevor ich in unsere kleine Behausung zurück laufe, denke ich nochmals über den Tag nach.

Von Sonnenauf- bis -untergang ziehe ich Fahrgäste durch die Stadt. Irgendwie muss ich mich zwischen Straßenbahnen, Lastwagen, Bussen und Autos behaupten. Immer mehr gibt es davon, und immer rücksichtsloser werden sie. Dabei sind die Straßen aus der Kolonialzeit eng genug. Zum Glück gibt es viele Gassen und Seitenstraßen, die nur ich und meine Kollegen erreichen können – für motorisierte Gefährte sind sie zu schmal.

Jetzt im August stehen die Straßen nach den Platzregen des Monsuns unter Wasser, es ist irre schwül und der Schweiß tropft mir übers Gesicht und in die Augen. Zwischendurch muss ich immer mal wieder mein Gesicht trocken wischen. Dafür ist die Luft nach jedem Guss reingewaschen. In den Wintermonaten atme ich die rußige Luft der Stadt ein, meine Lungen brennen dann. Wenigstens die Temperaturen sind erträglich. Mittags esse ich eine Portion Chapati mit Gemüse-Curry an einem Straßenstand.

Ich bin froh, diesen Job zu haben. Es gibt immer weniger Möglichkeiten Arbeit zu finden. Und ich bin zufrieden, dass Fahrgäste meinen Dienst nutzen und viele Kollegen auch Lasten ziehen können. Für kurze Strecken ist das der effizienteste Transport. Ich habe das Gefährt abbezahlt, dafür erhielt ich von unserer Regierung einen Kredit. Westbengalen ist ein ziemlich fortschrittliches Land, die tun viel für uns einfachen Leute. Aber ich schlage mich schon durch. Wir sind in einer Art Gewerkschaft organisiert, so dass wir uns mit der Stadtverwaltung auseinander setzen können.

Meine Kinder können kostenlos die Schule besuchen, Schuluniform und Bücher sowie eine Mahlzeit übernimmt die Landesregierung. Auch ich kann lesen und schreiben, in der Mittagspause lese ich ab und an die Zeitung. Von der Politik in Delhi verstehe ich nichts, aber Fußball interessiert mich. Hier in Kolkata ist Fußball Leidenschaft, wie in ganz Nordostindien – im Rest des Landes hat kaum einer Ahnung, wie so ein Spiel geht.

Du wirst fragen, wie ich mit meinem Leben zufrieden bin. Was soll ich sagen: Es ist, was ich habe. Aber meine Kinder sollen es besser haben, dafür arbeiten wir. In der Großstadt gibt es immer neue Möglichkeiten, ideal wäre ein Job bei der Regierung. Aber dazu braucht man oft Beziehungen.

Der Tag geht zu Ende und Inshallah – so Gott will – habe ich morgen wieder Fahrgäste und ein Auskommen. Und ich bin schon dankbar, wenn meine Knochen heil bleiben.

P.S.: Ich bin vor über 45 Jahren zum ersten Mal mit einer solchen Rikshaw vom Howrah-Bahnhof über die gleichnamige riesige Brücke in die Innenstadt gefahren, es war das einzige Transportmittel. Ich habe mich mies gefühlt, wie der Mann meinen Kumpel und mich schwer atmend zog. Noch heute gibt es hunderte Rikshaw Puller in Kolkata, auch wenn es inzwischen unterirdisch mit der U-Bahn schneller geht. Es ist meines Wissens die einzige Metropole auf der Welt, wo es diesen Berufsstand noch gibt. Dies ist eine fiktive Geschichte, in die Dutzende Aufenthalte in Kolkata über die Jahrzehnte eingeflossen sind.

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