Es war ein vergleichsweise kleines, einstöckiges Haus mit einem „To Let“-Schild an der Straßenseite. Genau so hatte ich es mir vorgestellt, mit einem kleinen Vorgarten und drei Kokospalmen auf dem Grundstück. Die Miete passte zu unserem Budget und so unterzeichnete ich den Mietvertrag mit Herrn Khan, der das Haus als Altersvorsorge für sich gebaut hatte. Es lag in Banani, einem nördlichen Vorort von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesh*.

Wie alle Grundstücke war unseres von einer Mauer umgeben, die an den Seiten unmittelbar ans Haus anschloss, bei den Nachbarn links und rechts ähnlich. Im Garten wuchsen bunte Blumen, ein Gärtner sorgte dafür, dass alles immer gepflegt und am Blühen war. Und das geht in Bangladesh, mit dem fruchtbarsten Boden der Welt, rund ums Jahr. Zu unserem Personal gehörte noch der Koch und der Putzmann (ja, ein Mann). Die drei Männer im Haushalt gehörten drei Weltreligionen an: Katholik, Hindu und Muslim. Für den Koch gab es eine kleine Einliegerwohnung im Haus, die anderen wohnten irgendwo in der Großstadt. Tagsüber teilten wir das Haus mit den guten Geistern, die bald Bestandteil des normalen Lebens wurden.




Wir mussten das Haus möblieren und hatten nur ein begrenztes Luftfrachtbudget für die Einfuhr „persönlicher Effekten“. Für den Rest gab es einen Markt an Gebrauchtmöbeln, -geräten und -autos der kommenden und gehenden Ausländer-Kolonie. Die Kinder wurden morgens per Bus zur internationalen Schule abgeholt und kamen nachmittags gegen 16 Uhr zurück, mich holte ein Fahrer ins Büro in der Innenstadt ab. Aber für alle anderen Fahrten gab es in Dhaka nur Fahrrad-Rikshaws (man sagte damals, Ende der 1980er Jahre, mehr als eine halbe Million), also kauften wir uns ein Auto. Mit dem konnten wir an Wochenenden in die Innenstadt oder zu Besuch in der Umgebung fahren.

Bangladesh ist ein islamisches Land. Das frühere Ostpakistan, entstanden aus der indischen Teilung entlang der religiösen Zugehörigkeit, wurde 1971 in einem blutigen Krieg unabhängig. Zu unserer Zeit herrschte das Militär, aber es gab eine (wie überall in Bengalen) lebhafte politische Kultur, die aus zwei rivalisierenden Parteien bestand. Bis heute ist das so. Ab und an gab es Generalstreiks und Ausgangssperren, aber für unseren Alltag waren die kaum spürbar: Märkte und Läden waren meist stundenweise geöffnet.
Unsere erste Nacht im neuen Heim für die drei kommenden Jahre endete mit einer Überraschung: Der Ruf eines Muezzins über einen knackenden Lautsprecher weckte uns aus dem Schlaf. Er klang nicht wie so oft im Orient aus mehr oder weniger weiter Ferne, sondern so, als ob er im Nachbarhaus stünde. „Allahu akbar“ klang es morgens, drei Mal über den Tag und zur Dämmerung in unser Haus. Was wir nicht gewusst hatten, im Nachbarblock, jenseits der Kokospalmen, war die große Moschee unseres Stadtviertels. Sie war noch im Bau und bestand nur einem nüchternen Betongeviert, kaum von den Wohnhäusern zu unterscheiden.
Was sich zunächst als Schock für unseren Ruhebedarf ergab, war schon wenig später überwunden: Wir gewöhnten uns an den Weckruf zum Sonnenaufgang und machten ihn zu unserem „Tagesbeginn“. So war der Morgen mit ausgiebigen Frühstück nie Stress, da wir ausreichend Zeit bis Schul- und Arbeitsbeginn hatten (meine Frau fuhr mit den Kindern zur Arbeit in die Schule). Tagsüber waren wir alle nicht im Haus, so traf uns der Ruf aus der unmittelbaren Nachbarschaft erst wieder frühabends.
Zu dieser Zeit hatten wir uns angewöhnt, eine amerikanische Familienserie im Staatsfernsehen anzusehen („Family Ties“, mit Michael J. Fox als reaktionärem Sohn von aufgeklärten Eltern). Und exakt zum Ruf des Muezzins unterbrach das Fernsehen das Programm und blendete ein Standbild ein: „Prayer Intermission“. Das störte daher unseren Fernsehgenuss nicht. Das Erstaunliche: nach einigen Wochen nahmen wir die Rufe des Muezzins gar nicht mehr bewusst war, Gewöhnungseffekt.
Die Wohnung des Moscheebediensteten grenzte direkt an die Mauer unseres Grundstücks. Wir waren gute Nachbarn: gegenseitiger Respekt herrschte vor und wir konnten unseren Lebensstil ziemlich unbehelligt beibehalten. Es versteht sich von selbst, dass es dabei Grenzen von Kultur und Etikette gab und gibt. Aber für die Kinder bot die Schule und für uns als Familie der deutsche Club mit Pool, Bar und Tennisanlage ausreichend Freiraum.


Unser Gärtner hatte die Idee, leere Getränkedosen zur Beet-Einrahmung zu verwenden. Nicht gut, nach einem Regen in der Nacht lagen die Dosen im Vorgarten herum, als habe es ein Gelage dort gegeben.
Den Test für ein gedeihliches Nebeneinander gab es während des Ramadans. Scheinbar mitten in der Nacht klapperte und klimperte das Küchengeschirr im Nachbarhaus und übertönte sogar die Klimaanlage im Schlafzimmer, an Schlaf war dabei um vier Uhr morgens nicht mehr zu denken. Ich stieg über die Treppe auf unser Dach und klopfte mit einem Stock höflich ans Fenster der Küche im ersten Stock unseres Nachbarn. Er öffnete das Fenster und war erstaunt, mich in der Dunkelheit zu sehen. Ich bat ihn herzlich, den Lärm mit dem Küchengeschirr aus Aluminium herunter zu fahren. Selbstverständlich sei mir bekannt, dass die Mahlzeiten vor (und nach) Sonnenuntergang eingenommen werden müssten. Es bedurfte keiner weitern „Intervention“, die nächtliche Küchenarbeit war ab da leise. Ich kann mich nicht mehr erinnern, aber ich glaube, ich habe mich später nochmals bei ihm bedankt.
*Ich war von Oktober 1987 bis Mai 1990 für das UN-Entwicklungsprogramm in Bangladesh. Das große Foto oben stammt aus Matrah, Oman.
Toll, solche Erinnerungen. Habe ich auch von „garnichtsoweitvonda“ 😉
Überlege die ganze Zeit, was das für ein Auto ist.
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