Man muss dran glauben. Das ist ein erster Schritt, damit es Wirklichkeit werden kann. So wie die jungen Leute sich ins Wasser des Tüz Gölü, des Salzsees in Anatolien trauten, so hat die Türkei heute gewählt. Selten wurde die Wahl eines Landes in aller Welt derart aufmerksam beobachtet.

Die Wechselstimmung für Parlament und Präsidialamt in Ankara war weit weniger stark, als uns in den hiesigen Medien erzählt wurde. Mit über 80 % Wahlbeteiligung haben die Türkinnen und Türken immerhin gezeigt, dass ihnen die Abstimmung wichtig ist. Von den Landsleuten in Deutschland gingen knapp 50 % der Wahlberechtigten zur Urne – und wählten zu zwei Drittel (!) den Amtsinhaber.
Bei der Stichwahl in zwei Wochen wird alles buchstäblich beim Alten bleiben, sagt mir mein Bauchgefühl. Eine Korrespondentin des Senders Aljazeera berichtete aus Gaziantep, dass die Erdbebenkatastrophe in der Region Loyalitäten zum Präsidenten eher verstärkt denn geschwächt hätte. (Ob die Leute im Ahrtal den für Katastrophenschutz zuständigen Landrat nochmals wählen, frage ich mich.)


Zumindest sind Regierungswechsel an Wahlurnen nicht ganz aus der Mode. Am vergangenen Wochenende zeigten das zwei weitere Beispiele: in Karnataka (Südindien) und Thailand. In ersterem, einem indischen Bundesstaat von der Größe Frankreichs mit der Metropole Bengaluru, wurde die Regierung an der Urne gestürzt!


In Karnataka waren etwa 53 Millionen Einwohner wahlberechtigt. Von den 224 Parlamentssitzen konnte die Kongresspartei 136 gewinnen, 56 mehr als in den Wahlen 2018. Die in Delhi regiernde BJP von Premierminister Modi, der unzählige Wahlkampfauftritte in Karnataka hatte, verlor 39 Sitze. Das bedeutet einen Regierungswechsel in Bengaluru mit einer komfortablen Mehrheit für die Kongresspartei: Die „Hand“ gewinnt über die „Lotusblume“ (in Indien sind die Symbole der Parteien auf den Wahlzetteln abgebildet!)
Die Bürgerinnen und Bürger in Karnataka sind also übers Wasser gegangen und haben es den Mächtigen in Delhi gezeigt.
Auch in der Gluthitze Thailands wurde gewählt. Zwei Oppositionsparteien gewannen die Mehrheit der Stimmen. Vor allem junge Leute wählten die MFP (Move Forward Partei), die von jungen Aktivistinnen und Aktivisten geführt wird. Wie im Geflecht mit Militär und Royalisten letztendlich eine Regierung aussieht, ist noch offen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Auch in Bremen wurde gewählt: Der Amtsinhaber bleibt im Amt, wenngleich der Partei für den Heizungsaustausch viele Wähler weg liefen.
Jedenfalls ist es gut, dass es Wahlen gibt. Als demokratisches Instrument sind sie immer noch das Beste gegenüber anderen Optionen (autoritäre Systeme, Putschisten oder auch selbstherrliche Bürokratien). In Bremen, Bangkok und Bengaluru haben sie den Weg für die nächste Legislaturperiode geklärt, in Ankara müssen wir noch warten.
50 Millionen Wahlberechtigte im „Bundesstaat“ Karnataka.Wahnsinn. Fast so viel wie in Deutsch“land“
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