Bei uns über die Bahn zu lästern gehört zum guten Ton. Jeder hat da sein Erlebnis, kaum einer erzählt von pünktlichen und fast leeren Zügen – wie bei meiner An- und Abreise zum Frankfurter Flughafen im Sommer.
Dagegen ist Bahnfahren in Japan ein Traum. Wir hatten uns ein 14-Tage-Japan Rail-Ticket gekauft, im Mai 2019 für rund 350 €, mit dem man alle Züge im Nah- und Fernverkehr kreuz und quer durchs Land nutzen kann.

Rückgrat des Bahn-Netzwerks auf den langgestreckten Inseln ist das der Shinkansen. Mit Geschindigkeiten von über 300 km/h von Stadtzentrum zu Stadtzentrum sind sie eine Konkurrenz zum Flugzeug – und auch so konzipiert. Alle Strecken werden nahezu in 10-Minuten-Abständen befahren. Ob von Osaka nach Kagoshima oder Tokio-Kyoto, man kann stündlich ein halbes Dutzend Mal fahren.
Dazu sind die Bahnhöfe oft luxuriöse Malls und Gourmet-Tempel. Extrem gepflegt, elegant und ruhig (Klaviermusik übertönt das „Rauschen“ der Reisenden). Tokio Hauptbahnhof, Nagoya, Kyoto, Hiroshima oder Kagoshima, einer attraktiver als der andere.

Ein Unterschied zu uns ist die Selbstverpflegung an Bord: Es gibt keinen Speisewagen oder einen Schaffner, der einen heißen Kaffee jongliert. Dafür erhält man an den Bahnhöfen jene auch bei uns schon bekannt gewordenen Bento-Boxen – fertige Mahlzeiten – kompakt und en minature. Im Zug wird mit Stäbchen gegessen.
Dann auf zum Bahnsteig, die Shinkansen-Strecken haben eigene Zugänge. Hier werden die Tickets kontrolliert, auf den Bahnsteig gelangen also nur Fahrgäste. Im Zug gibt es keine weiteren Kontrollen.

Mit dem JR-Ticket sollte man zuvor einen Platz reservieren. Das ist kostenlos und geht im Bahnhof fix – Schlange stehen unbekannt. Den Shinkansen-Fahrplan gibts als App.
Einige meiner Blog-Beiträge zu Japan
Japan und Wir. Reiners.blog, 26. Mai 2019
Ein kleines Kyoto-Protokoll. Reiners.blog, 7. April 2021
Der Vulkan vorm Fenster. Reiners.blog, 10. April 2021
Nagasaki – die Vergessene. Reiners.blog, 3. August 2021
Die einzelnen Züge unterscheiden sich meist nach Zahl der Stopps, sie nennen sich Kodama, Sakura, Nozomi oder Hikari. Ansonsten fahren sie mit der gleichen (Hoch)Geschwindigkeit. Das JR-Ticket berechtigt für die Hikari-Züge, für die anderen muss ein Aufschlag gezahlt werden.

Die Organisation auf den Shinkansen-Bahnsteigen ist der eigentliche Knüller. Vom Gleis sind die Bahnsteige durch eine hüfthohe Wand getrennt, die mit Schiebetüren ausgestattet ist. Die Züge halten auf Zentimeter an diesen Türen.

Für den Stopp sind oft nur drei oder vier Minuten vorgesehen – eine Zugverspätung um diesen Zeitraum ist selten und mit vielen Entschuldigungen über den Bordlautsprecher verbunden. Die zusteigenden Fahrgäste warten in Reihe in markierten blauen Zonen. Der ganze Prozess des Aus- und Zusteigens – stufenfrei – dauert nur eine Minute.


Zug- und Bahnsteigtüren schließen synchron und der Shinkansen setzt sich nahezu lautlos in Bewegung.
Der Innenraum (der zweiten Klasse) der Waggons ist im Vergleich zu unseren ICEs spartanisch. Allerdings gibt es dafür einen technischen Grund: Das komplette Sitz-System wird gedreht, wenn der Zug die Rückfahrt antritt. Die Fahrgäste sitzen also immer in Fahrtrichtung. Für größeres Gepäck gibt es nur den Raum hinter der letzten Sitzreihe. Japaner hingegen reisen mit kleinem Gepäck, dafür reicht die obere Ablage.


Man ist aber auch nie lange im Zug unterwegs. Von Kagoshima bis zum Bahnhof Shinagawa in Tokio sind es nur wenig mehr als sechs Stunden. Für die gleiche Entfernung in Europa (Hamburg-Florenz z.B.) braucht man fast die dreifache Zeit!

Man sagt, Eisenbahnen seien das Aushängeschild für die Kultur eines Landes. Was einst für die Bahn bei uns galt, es gilt immer noch für Japan: Die Japan Railways sind ein Beispiel für Effizienz, Eleganz, Höflichkeit und vor allem: Ruhe. Ja, Ruhe mitten im Gewirr von Bahnhöfen und einfahrenden Zügen. Eine andere Welt.
Krass, es geht also
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